Die Volksbank Mittelhessen auf TikTok – dürfen die das?

Der TikTok-Kanal der Volksbank Mittelhessen

„Je verrückter, desto besser“ – so könnte man die Inhalte auf dem relativ jungen Social-Media-Kanal „TikTok“ zusammenfassen. Nun gehört aber Verrücktheit in aller Regel nicht zu den herausstechendsten Eigenschaften des klassischen Bankers. Die Krawatte in der Filiale wegzulassen, war bis vor kurzen auf der Verrücktsheitsskala der Volksbank Mittelhessen eine glatte 10. Auch in der Außenwirkung ein offenbar so spektakulärer Akt, dass dieser sowohl von regionaler Presse als auch im Netz mit zahlreichen Beiträgen goutiert wurde. Nun also TikTok, ein Inbegriff kreativen Blödsinns. Manch Markenstratege wird sich die Haare raufen. Und doch scheint der Erfolg den Mutigen recht zu geben.

Die Volksbank Mittelhessen ist seit Anfang Juni 2020 mit dem Account @vbmittelhessen auf TikTok aktiv. Innerhalb von vier Wochen konnte eine Reichweite aufgebaut werden, die alle anderen klassischen und digitalen Kanäle schon jetzt übertrifft. Dabei gehört die Volksbank Mittelhessen mit sehr aktiven 10.000 Facebook- und 5.700-Instagram-Followern zu den erfolgreichen Volksbanken in den sozialen Medien. Beide Kanäle werden seit Jahren mit hohem Aufwand und Engagement von der Volksbank Mittelhessen gepflegt. Die Ergebnisse werden eng kontrolliert und gesteuert. Was auf den etablierten Kanälen Jahre dauerte, gelang auf TikTok innerhalb von vier Wochen. Mit einfachsten Mitteln konnte eine Zahl von zuletzt knapp 16.500 Followern gewonnen werden und täglich kommen neue hinzu. Die Beiträge wurden insgesamt beinahe sieben Millionen Mal angesehen bei einer Verweildauer von durchschnittlichen 16 Sekunden pro Clip. Dabei ist das TikTok-Publikum überdurchschnittlich jung. Die Inhalte sprechen demnach eine Zielgruppe an, die über die arrivierten Kanäle und Medien quasi unerreichbar geworden ist.

Ein Handy, vier Freiwillige und ganz viel Pioniergeist

So sah der Start bei der Volksbank Mittelhessen aus. Bevor es losging wurde unter den Auszubildenden des Hauses ein Aufruf veröffentlicht. Gesucht wurden junge Kolleginnen und Kollegen, die idealweise bereits Erfahrung mit dem Medium mitbrachten. Es bewarben sich vier Auszubildende, allesamt hochmotiviert und neugierig auf ihre Aufgabe. Vorgaben und Einschränkungen wurden ausdrücklich nicht gemacht. Im Gegenteil: die TikTok-Aspiranten wurden ermutigt, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Ganz ohne Denkschranken oder vermeintliche Erwartungen. Letztlich scheint genau das der Schlüssel zum Algorithmus zu sein. Wenn etwas auf TikTok gar nicht läuft, dann sind es ernst gemeinte Beiträge, die womöglich noch informieren wollen. Gefragt sind dagegen authentisch absurde, aber lustige Clips.

TikTok macht die Kopie zum Geschäftsmodell. Die Idee: die User inszenieren sich vor der Kamera zu einer bestehenden Tonspur. Lippensynchron, möglichst unterhaltsam und individuell „singen“, tanzen oder spielen sie eine Szene nach. Die Folge sind hunderte oder tausende ähnliche Videos, jedes Mal jedoch anders und damit mehr oder weniger gut umgesetzt. Meist sind die wahlweise 6- oder 60-sekündigen Clips völliger Nonsens und dennoch unterhaltsam. Der Erfolg lässt sich leicht ablesen. Zum einen sind es natürlich die Likes, welche die Popularität eines Beitrages beziffern. Noch beeindruckender erscheinen allerdings die Views, also die Anzahl wie oft ein Clip abgespielt wurde. Zwei Videos der Volksbank Mittelhessen sind „viral gegangen“ und haben innerhalb kürzester Zeit die Million geknackt.

Die Frage nach dem „Warum“

Die ist schnell beantwortet: Warum nicht! Mit Verweis auf das mögliche Reputationsrisiko haben gerade Banken und Finanzdienstleister die Sozialen Medien viel zu lange ignoriert. Die Volksbank Mittelhessen ausdrücklich miteingeschlossen. Dieses Zögern war ein Zeichen großer Verunsicherung. Die Folge: Der Kuchen der Aufmerksamkeit war verteilt als wir endlich den Einstieg gefunden haben. Innovatoren hatten zu diesem Zeitpunkt bereits große Communities und eine entsprechende Markenbindung aufgebaut. TikTok dagegen ist zumindest für Finanzdienstleister ein unbestelltes Feld. Neben dem eigenen Kanal finden sich nur noch eine Handvoll weiterer Banken. Selbst von den großen digitalaffinen Banken wie DiBa oder GLS fehlt (noch) jede Spur. 

Das Reputationsrisiko halten wir auf TikTok für kontrollierbar. Denn hier ist es einfach normal, dass man sich zum Affen macht. Bei der jungen Zielgruppe wirkt das jedoch nicht etwa unseriös, sondern menschlich und sympathisch. Seitdem selbst der Vorstand der Volksbank Mittelhessen in mehreren TikToks mitgespielt hat, ist bankintern ein regelrechter Boom ausgebrochen. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen wollen dabei sein und mitmachen. Das kommt auch bei den Kunden an: Regelmäßig werden die aktiven TikToker von Kunden oder sogar auf der Straße angesprochen.

Vielleicht mag die Befürchtung eines Reputationsverlustes in Bezug auf die ältere Zielgruppe sogar berechtigt sein. Will meinen, dass Auszüge aus dem TikTok-Kanal bei der eigenen, aber eben deutlich älteren Facebook-Community bisweilen für ungläubiges Kopfschütteln sorgen. Doch diese zwei Welten berühren sich (derzeit) kaum. Was auf Facebook stattfindet, interessiert den TikTok-User nicht und vice versa.

Bleibt die Frage nach den Botschaften, welche Bank über diesen Kanal transportieren möchte. Diese finden auf einer weit entfernten Metaebene statt. Doch sie werden durchaus wahrgenommen. Dutzendweise fragen die jugendlichen Zuschauer nach Ausbildungsplätzen oder Mitgliedschaft. Erste Bewerbungen wurden eingereicht. Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Diese alte Weisheit gilt auch hier. Mit einer Pressemeldung, einer Anzeige oder einem schicken Flyer erreicht man heute keinen 14- bis 18-jährigen mehr.

Fazit: Mehr Mut zur Selbstironie

Nach diesen positiven Erfahrungen eines fulminanten Starts können wir anderen Volksbanken nur empfehlen, ebenfalls den Einstieg zu wagen. Und wenn ein Post mal schiefgeht ist das gerade auf dem schnellen TikTok nicht dramatisch. Der ist ruckzuck weg geswiped und wieder vergessen. Was ist schlimm daran, wenn unter einem Post auch mal diskutiert wird, ob die Kontoführungsgebühr bei der Volksbank zu hoch oder die Mitarbeiter unfreundlich sind? Wirklich schlecht wäre nur eines: Wenn keiner mehr über sie spricht. Tatsächlich diskutieren die User miteinander und ergreifen zum Teil Partei für die Bank. Folgen Sie unserem Account @vbmittelhessen - liken und kommentieren Sie unsere Beiträge, eröffnen Sie Ihren eigenen Kanal und fordern Sie uns zum digitalen Duell auf. Nur eines möchten wir Ihnen dringend ans Herz legen: Nehmen Sie sich selbst nicht zu ernst!